Jagd auf Professoren?

Aljazeera veröffentlichte vor kurzem unter der Überschrift „Everyone is a target in Iraq“ einen Artikel, in dem verschiedene Gruppen religiöser, ethnischer und beruflicher Art aufgezählt wurden, deren Mitglieder verstärkt von Attentaten und Anschlägen bedroht sind. Unter den verschiedenen Kategorien findet sich auch diejenige irakischer Wissenschaftler, deren Ermordung bereits kurz nach Kriegsanfang begonnen hatte. Zunächst wurde vermutet, dass es sich bei den getöteten Akademikern um Beteiligte an Programmen für Massenvernichtungswaffen handelte, doch als zahlreiche Gelehrte aus Geistes- und Kulturwissenschaften wie Arabistik oder Geschichte getötet wurden, erschienen die ersten Vermutungen zunehmend als unwahrscheinlich.
Haroun Muhammad, ein in London ansässiger Beobachter der irakischen Politik, vermutet dem Iran nahestehende Milizen als Verantwortliche und hält es zumindest für offensichtlich, dass verschiedene externe Mächte bestrebt sind, den Irak von seinen qualifizierten Leuten zu räumen. Dem irakischen Ministerium für höhere Bildung zufolge wurden in den letzten beiden Jahren 146 Professoren im Irak ermordet – womit in der gleichen Zeit mehr als doppelt so viele Wissenschaftler wie Journalisten umgebracht wurden.
Doch auch für die letztgenannte Berufsgruppe hat sich die Situation alles andere als verbessert, wie auch die Organisation Reporter ohne Grenzen in einer Stellungnahme bestätigte:
„Unfortunately, the safety of journalists is still far from being assured in Iraq and there are grounds for suspecting that tensions linked to the start of Saddam Hussein’s trial are having repercussions on the press.“
Mit dem Beginn des Verfahrens von Saddam Hussein verschärft sich die Situation jedoch nicht zuletzt für einige Anwälte – in erster Linie für die Verteidiger des ehemaligen Staatspräsidenten samt Mitangeklagten. Der kürzlich ermordete Rechtsanwalt Saadun Sughaiyer al-Dschanabi etwa vertrat Awad Hamed al-Bandars, den früheren Vorsitzenden des Irakischen Revolutionsgerichts, das für zahlreiche Todesurteile gegen Schiiten verantwortlich zeichnet. Al-Dschanabi wurde am Donnerstag, einen Tag nach Eröffnung des irakischen Sondertribunals von zehn bewaffneten Männern aus seiner Kanzlei entführt und gestern erschossen aufgefunden. Obwohl aus Sicherheitsgründen nur der Vorsitzende des Sondertribunals öffentlich gefilmt werden durfte, während alle anderen Richter und Staatsanwälte vor einer Identifizierung geschützt wurden, gab es für die Verteidigung keine entsprechenden Vorkehrungen.
Der irische Reporter Rory Carroll, der am Mittwoch entführt wurde, kam unterdessen nach 36 Stunden wieder frei. Er hatte sich noch einige Tage zuvor zu den Gefahren für Journalisten im Irak geäußert:
„In most war situations, you have a sense of where you can go safely, and what the risk is. In Baghdad, the danger is diffuse and omnipresent.“
Berichten zufolge nimmt auch die Gefahr für Journalisten zu, der – seit dem umstrittenen Fall Sgrena/Calipari bekannten – „Todesfalle Checkpoint“ zum Opfer zu fallen. Im September stieg die Anzahl der in den letzten beiden Jahren im Irak getöteten Journalisten auf 72.
Ein neues Kapitel in der Diskussion um die Frage, ob die Tötung von Journalisten durch Soldaten gezielt oder versehentlich geschieht, wurde jüngst in Spanien eröffnet, als ein internationaler Haftbefehl gegen drei US- Soldaten erlassen wurde, nachdem Angehörige eines Journalisten, der vor zwei Jahren erschossen wurde, Anzeige gestellt hatten. Das Pentagon verweigerte jede Kooperation mit den spanischen Gerichten.
Weiterhin unklar ist der Ausgang des irakischen Verfassungsreferendums:
Aufgrund von „Anomalien“ sowie unerwarteten Ergebnissen wurde die Bekanntgabe der Resultate verschoben, um eine Überprüfung zu ermöglichen. Die Wahlkommission veröffentlichte zumindest, dass von einer erstaunlich hohen Wahlbeteiligung von etwa 63% auszugehen ist.
Mitarbeiter der irakischen Wahlkommission „schließen einen technischen Fehler oder Betrug nicht aus.”

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