Nepal – Politischer Abgrund am Dach der Welt

Schon seit Jahren kommt es in Nepal immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften des absolutistisch regierenden Monarchen Gyanendra und einem Bündnis aus mehreren oppositionellen Parteien und guerillaartig operierenden Untergrundbewegungen, welche strukturelle Veränderungen der politischen und sozialen Systeme anstreben und dem Volk mehr soziale Gleichstellung und Mitsprache einräumen wollen.
Die Kampfhandlungen zwischen beiden Lagern schaukeln sich gegenseitig immer höher, immer mehr Opfer fordert der verbissene Kampf um die Zukunft des Landes.Ursachen der Rebellion
Nepal ist ein Agrarstaat, mehr als drei Viertel der Bevölkerung arbeiten im landwirtschaftlichen Sektor, der kaum vorhandene Dienstleistungssektor basiert auf dem Tourismus, welcher immerhin den größten Anteil an Devisen ins Land bringt. 40 % der Bevölkerung leben in Armut, die für das als Drittweltstaat eingeordnete Nepal zur Verfügung gestellte Entwicklungshilfe versandet wahrscheinlich wirkungslos in den Staatsapparaten. So sind u.a. mehr als die Hälfte der Einwohner des Gebirgslandes Analphabeten.
Ein weiteres Problem liegt im starren hinduistischen Kastensystem, welches kaum den wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Aufstieg einzelner Personen zulässt. Besonders die „Unberührbahren“ und Kastenlosen, die untersten gesellschaftlichen Schichten, haben darunter stark zu leiden: Der Großteil dieser Gruppen lebt in völliger Armut und wird zusätzlich durch starke Diskriminierung noch weiter gebeutelt: Wichtige Infrastrukturen wie Brunnen u.ä. sind für sie meist nur unter Schwierigkeiten zugänglich, trotz Antidiskriminierungsgesetzen kommt es oft zu Demütigungen von Seiten der korrupten Sicherheits- und Verwaltungsapparate.
Amnesty International wirft Nepal deshalb scharfe Menschenrechtsverletzungen vor.
Entwicklung des Konfliktes
1990 kam es auf Druck der Kommunistischen Partei Nepals und der Kongresspartei zur Einführung einer konstitutionellen Monarchie im Land, doch diese starke Änderung des Staatssystems blieb nicht von Dauer. Nachdem es im Juni 2001 unter mysteriösen Umständen zur Ermordung fast der gesamten Königsfamilie samt dem Staatsoberhaupt kam, wurde der Bruder des Königs, Gyanendra, zum neuen König gekrönt. Die Morde wurden dem vormaligen Thronfolger Dipendra zugeschrieben, der seine Familie und sich selbst unter Drogen stehend getötet haben soll. Aufgrund der vielen historischen Beispiele für ähnliche Fälle in Nepal und viele Ungereimtheiten während der unter Verschluss gehaltenen Ermittlungen wird diese Version vom nepalesischen Volk jedoch stark angezweifelt.
Gyanendra hat Anteile an den meisten großen Konzernen des Landes und gilt als rücksichtsloser und harter Unternehmer.
Schon 1995 hatte sich eine Splittergruppe von der Kommunistischen Partei Nepals abgespalten und der Regierung als Kommunistische Partei Nepals (Maoisten) den bewaffneten Kampf angekündigt. Ihre Ziele sind die Abschaffung des Kastensystems, eine durchgreifende Landreform, die Besserstellung der sozialen Randgruppen sowie die Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. So schließen sich ihr auch viele Menschen der unteren sozialen Schichten an. Wie andere maoistische Guerillagruppen in Südasien rief die CPN (Maoist) den „Volkskrieg“ aus und baute in den von ihnen kontrollierten Gebieten eigene Verwaltungsstrukturen auf, unter anderem führte sie die Schulpflicht ein und verbot die in Nepal immer noch weitverbreitete Schuldknechtschaft. 2002 waren drei Viertel der 75 Verwaltungsdistrikte des Landes in der Hand der Rebellen, zeitweise war die Hauptstadt Katmandu sogar weitestgehend vom Umland abgeschnitten.
Sah es unter dem alten König noch mehr nach einer Entschärfung des Konfliktes zwischen beiden Seiten aus, verlagerte sich die Situation unter Gyanendra ins Gegenteil: Er ging scharf gegen die Rebellen vor, was zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte.
Im November 2001 rief der Monarch den Ausnahmezustand aus und entließ das Parlament, unter der Begründung nun besser gegen die terroristischen Gruppen im Land vorgehen zu können. Rückenwind bekam er indirekt durch die Vereinigten Staaten von Amerika, welche ihn seither unterstützten, da der nepalesische Bürgerkrieg für sie nun ein Teil im Kampf gegen den internationalen Terrorismus geworden war.
2005 machte Gyanendra den Staatstreich perfekt: Er setzte die gesamte Regeierung ab und stellte führende Politiker unter Hausarrest, während er erklärte, die nächsten drei Jahre lang alleine die Macht ausüben zu wollen, um eine Basis für demokratische Verhältnisse zu schaffen. Dieser Vorgang ging mit einer Einschränkung der Pressefreiheit einher. Er nutzte dabei ein Schlupfloch in der nepalesischen Verfassung, welches dem König ermöglicht „Schwierigkeiten in der Regierung zu beseitigen“.
Aktuelle Situation
Nachdem ein freiwilliger viermonatiger Waffenstillstand der maoistischen Rebellen Anfang 2006 ohne Reaktion von Seiten des Königs verstrichen war, gingen die Kämpfe weiter.
Gyanendra setze für den 8. Februar diesen Jahres offizielle Wahlen an, welche jedoch von dem losen Bündnis aus den größten politischen Parteien und den Guerilla boykottiert wurden. Laut der Opposition waren diese Wahlen nicht mehr als eine Farce, um eine Legitimation seiner Macht zu erreichen, und danach sah es wahrlich auch aus: Politische Aktivisten und Parteiführer wurden in „Vorbeugehaft“ und unter Hausarrest gestellt, die Menschenrechte weiter eingeschränkt; so wurden Ausgangssperren verhängt, die Medien weiter zensiert und angeblich sogar inhaftierte Oppositionelle gefoltert.
Im Vorfeld der Wahlen intensivierten die Maoisten ihre Aktivitäten und verübten Zahlreiche Anschläge auf staatliche Verwaltungen und Polizeistationen und rief zum Generalstreik am Wahltag auf. Dementsprechend kam es nur zu einer sehr geringen Wahlbeteiligung; auf Grund von Sicherheitsbestimmungen konnte nur in 43 der 75 Distrikte konnte gewählt werden, nur wenige Personen waren bereit sich als Kandidaten für die Gemeinde- und Stadtratssitze aufstellen zu lassen.
Inzwischen erklingen fast täglich mehrere Meldungen über Zusammenstöße zwischen demonstrierenden Bevölkerungsteilen und Regierungsorganen, sowie von strengen Vorgehen der Regierung gegen Rebellen, die politischen Parteien und die Bevölkerung. Inzwischen sind seit dem Beginn der Unruhen 1996 mehr als 12 500 Menschen getötet worden.
Erst kürzlich kam es wieder zu großen Massendemonstrationen gegen den totalitären Monarchen, Polizisten schossen teilweise auf die Mengen und töteten mehrere der friedlichen (!) Demonstranten.
Heute, am 13. April 2006, rief UN Generalsekretär Kofi Annan König Gyanendra auf, die politische Krise und weiteres Blutvergießen im Land zu beenden und eine sofortige Wiederherstellung der Demokratie zu gewährleisten.
Persönliche Bewertung
In unseren Medien werden die schweren Unruhen in Nepal nur allzu oft vergessen; sie scheinen nur einer von vielen Konflikten zu sein, die sich auf der Welt abspielen. Doch der Guerillakrieg der nepalesischen Rebellen steht nicht nur für die dramatischen sozialen Verhältnisse in dem kleinen Gebirgsstaat, sondern auch stellvertretend für die hochgradig ausgeprägten sozialen Unterscheide in gesamt Südasien.
Bewaffneter Widerstand scheint in Südasien – sei es nun Nepal oder Indien – das einzige wirksame Mittel gegen die despotischen Staatsapparate zu sein, welche die jeweilige Bevölkerung durch Notstandsverordnungen und klare Verletzungen der Menschenrechte unter ihr Joch treiben. Die Rebellen, so grausam sie auch teilweise sein mögen, führen oftmals bessere Verhältnisse in ihren Machtbereichen ein, als die Regierungen dies bis dahin getan haben. Sie schaffen höhere, stabilere Lohnniveaus, bauen Schulen, Straßen und Sanitäranlagen aus und durchbrechen die starren Gesellschaftsstrukturen.
Doch ohne einen wachenden Rahmen läuft zwangsweise auch solch eine Ordnung irgendwann aus dem Ruder und weicht einer Willkürherrschaft, die wahrscheinlich nicht viel besser ist als jene der Regierungen zuvor.
Während Indien besorgt zu seinem kleinen nördlichen Nachbarn schaut und Staaten wie Frankreich und Deutschland zumindest teilweise ihre entsendeten Vertreter nach Hause zurückgerufen haben, ist diese Krise für die Weltmacht USA, welche laut eigenen Angaben den Frieden und die Demokratie auf der Welt schützen und vermehren will, nicht mehr als ein „terroristischer Aufstand“, den es niederzuschlagen gilt. Welch krasse Bezeichnung, wenn man bedenkt, dass der nepalesische König wie ein absoluter Monarch aus dem 17. Jahrhundert regiert und die Menschenrechte mit Füßen tritt, während seine ausgeprägten Polizei- und Militärapparate versuchen die für Demokratie kämpfenden Guerilla in Schach zu halten.
Natürlich sollte es das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft sein, diese Konflikte friedlich zu beenden, eine soziale Gleichstellung der Bevölkerung zu erreichen und für nachhaltig stabile Verhältnisse in den betroffenen Regionen zu sorgen. Doch ohne eine wirksame Exekutive kann die UN nicht mehr bewirken als Empfehlungen und dringliche Bitten auszusprechen – und zu viele einflussreiche Lobbys profitieren vom Krieg und der Korruption in diesen Ländern, als dass eine schnelle Lösung der Probleme ohne weiteres möglich wäre.
So werden wohl noch viele Menschen sterben müssen, bis endlich Frieden auf dem Dach der Welt einkehrt. Ein Frieden, der dieser imposanten Naturkulisse wohl eher gerecht wird als die Blutströme, welche sich derzeit in ihren Tälern ergießen.
Zur aktuellen Situation in Nepal:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Nepal/
http://www.reliefweb.int/rw/dbc.nsf/doc104?OpenForm&rc=3&cc=npl

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3 Antworten

  1. Vinay Lohar sagt:

    Nepal ist ein schönes Land. Nepals Problem ist seine demokratische Entwicklung. Es gibt Mangel an Bodenschätze. Die wirtschaftliche Lage stellt schlechte Aussichten dar und wird durch die Fortdauer des maoistischen Aufstands und neuerdings auch noch durch den Putsch König Gyanendras weiter verschlimmert.
    Die Wirtschaft ist hauptsächlich vom Tourismus abhängig. Um seine Entwicklung zu beschleunigen, hatte die nepalische Regierung 1998 zum Visit Nepal Year erklärt, allerdings mit mäßigem Erfolg. Im Vordergrund stand dabei in Nepal mit seiner faszinierenden kulturellen Fülle der Hochgebirgstourismus mit Treckingangebot und Bergsteigerei.
    Die Symbole des Staates sind hinduistischer Art oder zumindest Bestandteil der Kultur der hinduistischen Bevölkerung des Landes. 90% in Nepal sind Hindus. Die Analphabetenrate in Nepal liegt bei 44 Prozent. Immer noch ist Nepal viel besser als Bangladesch und Pakistan wo die Analphabetenraten bei 48% und 32% liegen. Pakistan sieht sich mit zahlreichen sozio-ökonomischen und politischen Problemen konfrontiert.
    Nepal ist eines der ärmsten Länder der Erde. 40-55% der Bevölkerung werden als absolut arm eingestuft. Abgesehen von einigen wenigen tausend Familien leben die meisten anderen nur unwesentlich oberhalb der absoluten Armutsgrenze. Der Mangel an Arbeitsplätzen in Nepal treibt immer mehr Nepali zur Annahme von Auslandsjobs. Verstärkt wird dieser Prozeß durch die zunehmenden Sicherheitsprobleme im eigenen Land angesichts des maoistischen Konflikts.
    Der Mangel an Arbeitsplätzen in Nepal treibt immer mehr Nepali zur Annahme von Auslandsjobs.Die Ermordung von 12 nepalischen Gastarbeitern [der Link führt zu einer umfangreichen Artikelsammlung zu dieser Problematik und den Folgewirkungen] im Irak durch militante Islamisten (Terroristen) hat in Nepal eine Schockwelle ausgelöst.

  2. Nachdem wir Mitte 2006 schon einmal von der gespannten Situation in Nepal berichtet hatten, hat sich auf dem Dach der Welt inzwischen viel getan.
    Sah es im April 2006 noch so aus, als würde das Land langsam aber sicher vom zehrenden Bürgerkrieg maoist

  3. Die Entwicklung Nepals von der absolutistischen Monarchie hin zur parlamentarischen Demokratie schreitet weiter voran. Die Ask1-Redaktion hatte das erste Mal vor fast genau zwei Jahren über den schweren Bürgerkrieg im Land berichtet, dem mehr als 13.000 M

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