Zwischen EFSA, WTO und NGOs: Harte Zeiten für die EU- Kommission?
Wie vergangene Woche auf den Druck von Friends of the Earth hin bekannt wurde, hatte die EU- Kommission unter anderem den umstrittenen MON810- Mais in internen Berichten von 2005 als „unzureichend untersucht“ bezeichnet, aber – ohne die Bedenken zu veröffentlichen – zugelassen. Inzwischen fordert sogar die von Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen heftig kritisierte Kommission eine bessere Risikobewertung durch die EU- Behörde EFSA und schließt sich in einigen Kritikpunkten den NGOs an – ohne dies den gegenwärtigen Zulassungen in die Quere kommen zu lassen.
Verschiedene Versionen
Seit September 2004 hat die EU- Kommission allein 31 Varietäten von genmanipuliertem Mais in unterschiedlicher Ausprägung für den europäischen Markt zugelassen. In allen Fällen wurde der Öffentlichkeit versichert, es würde sich um ausreichend überprüfte, ungefährliche und sichere Sorten handeln. Neue Dokumente, die von der EU- Kommission vor allem auf Druck der NGO Friends of the Earth hin veröffentlicht wurden, zeigen hingegen völlig andere Einschätzungen. Unsicherheiten, fehlende Daten, subjektive Beurteilungen und problematische Risikobewertungen dominieren die Szenerie und die EU- Kommission scheint kurzerhand zum vorsichtigen Verbraucherschützer zu mutieren, der sich notgedrungen auf die progressiven Experten der EFSA verlassen musste. In einem Bericht von Friends of the Earth Europe und Greenpeace ist u.a. zu lesen:
„[Diese neuen Dokumente] enthüllen, dass die Kommission zur gleichen Zeit, als sie eine pro-GVO- Linie gegenüber der Öffentlichkeit vertrat, hinter verschlossenen Türen im Disput bei der WTO Evidenz präsentierte, dass
– es erhebliche wissenschaftliche Bedenken über die Sicherheit von GV- Lebensmitteln und -Getreide gibt
– neue und komplexe Risiken entstehen
– die Risiken für die Gesundheit von Menschen und Tieren nicht ausgeschlossen werden können
– schwerwiegende Bedenken in Bezug auf die ökologische Sicherheit bestehen bleiben
– die ökologischen Risiken von GV- Organismen abhängig von der Region und ihrer Umgebung variieren werden
– Biotechnologie- Konzerne Einsatzmöglichkeiten und Forschungen im Gebiet der Möglichkeiten, GVOs zu vermarkten, von geringer Qualität vorlegten
– die Kommission beträchtliche Bedenken hatte in Bezug auf die Risikobewertung, die durch die EFSA durchgeführt wurde, welche die unabhängigen Risikobewertungen von GV- Getreide und -Nahrungsmitteln als Teil des Genehmigungsverfahrens durchführt“
Diese Zusammenstellung beruht vor allem auf den Ausführungen von Sprechern der EU- Kommission im Rahmen eines aktuellen Handelskonfliktes vor der WTO, in dem es um den Import vor allem US- amerikanischer GVOs nach Europa geht. Ein Streit, der bereits für den Bruch des Gentech- Moratoriums innerhalb der EU verantwortlich war und die Vertreter der Kommission eine Position annehmen lässt, die bei vielen Bürgern Europas zumindest für Verwirrung sorgen könnte. Bereits Anfang 2005 ließ die Kommission gegenüber der WTO bspw. Folgendes verlauten:
„Auf der Basis der existierenden Forschungen … ist es unmöglich zu wissen, ob die Einführung von GV- Nahrungsmitteln andere Effekte auf die menschliche Gesundheit hatte als akute toxische Reaktionen.“
(European Communities – Measures affecting the approval and marketing of biotech products. Comments by the European Communities on the scientific and technical advice to the panel. 28. January 2005)
Den Joker in der Hand
Warum diese Ausführungen hinter verschlossenen Türen verblieben, hat möglicherweise mehrere Gründe, die von politischen Zusammenhängen über wirtschaftliche Interessen bis hin zu Glaubwürdigkeitsfragen reichen könnten. Nicht abwegig, aber wenig appetitlich erscheint die Vorstellung, dass die EU- Verantwortlichen dieses Thema in bester zeitgenössischer Realpolitik als in erster Linie ökonomisches Problem betrachten, und als Joker gegenüber der Bevölkerung die EFSA bereit halten, die sie „mal als Rechtfertigungsorgan oder als Prügelknaben“ nutzen, wie es in einem Artikel von Greenpeace formuliert wird..
Da wirkt der Gedanke an einen vorsichtigen, vielleicht etwas inkompetenten Vebraucherschützer doch etwas sympathischer. Störend bei dieser Version ist lediglich der Umstand, dass die EU- Kommission parallel zum Streit vor der WTO und gegen den Widerstand einer Mehrheit der Mitgliedstaaten sieben neue GV- Nahrungsmittel zugelassen hat.
„Das ist ein politischer Skandal. Die Europäische Kommission muss Verkauf und Anbau von genetisch verändertem Nahrungsmittel und Getreide in Anbetracht der ernsthaften Bedenken über ihre Sicherheit, die ans Licht gekommen sind, aufhalten,“ so Clare Oxborrow, ein Mitglied von Friends of the Earth, gegenüber dem britischen Telegraph.
„Als die EU- Kommission das Moratorium brach und Europa GV- Nahrungsmittel aufzwang, hat sie der Öffentlichkeit erzählt, dass sie sicher seien. Aber die Kommission hat eindeutig gewusst, dass dies nicht der Fall war und sie war bereit, das Risiko hinter geschlossenen Türen zu benennen.“
Greenpeace fordert neben einem Anbaustopp für umstrittene Sorten wie MON810 die konsequente Durchführung von Langzeituntersuchungen für Zulassungskandidaten und zumindest im letztgenannten Punkt scheint nun auch die Kommission den Verbraucherschützern zuzustimmen. Ob nun, da die Bedenken öffentlich gemacht wurden, auch eine veränderte Politik folgen wird, kann jedoch angezweifelt werden, wie neben der Zulassung neuer Sorten auch die unveränderte Haltung gegenüber GV- kritischen Ländern zeigt.
Erneute Verbotsversuche
In direkter Missachtung der EFSA- Vorgaben wurden in Österreich und der Slowakei nationale Verbote für bestimmte GV- Pflanzen erlassen. Während der Anbau des gentechnisch modifizierten Raps GT73 trotz Erlaubnis für die gesamte EU in Österreich weiterhin untersagt ist – insofern es nach dem lokalen Gesetzgeber gehen sollte – droht dem inzwischen zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten Monsanto- Mais MON810 ein Verbot in der Slowakei. Gleichzeitig ist Meldungen zufolge in Polen ein umstrittenes Gesetz zum Verbot von Handel und Anbau von GV- Saatgut auf dem Weg, dass den Staat auf direkten Kollisionskurs mit der EU- Kommission bringen würde. Die einzige Ausnahme, die nach Ansicht der Kommission ein Verbot begründen könnte, wäre eine grundsätzliche unverträglichkeit mit konventionellem Saatgut. Eine Kontamination erfüllt dieses Kriterium allerdings nicht.
Die EFSA wiederum kündigte an, die bisherige Politik unverändert fortzusetzen. Fast gleichzeitig zu der überraschend kritischen Veröffentlichung der EU- Kommission publizierte die EFSA einen Bericht, in dem mehrere in fünf Mitgliedsländern verbotene GV- Nutzpflanzen von Syngenta, Bayer und Monsanto als unbedenklich eingestuft werden. Der Bericht bezieht sich auf die Ergebnisse einer eigenen Studie und behauptet, dass bei drei Mais- und zwei Rapssorten, die gegenwärtig in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Österreich und/oder Luxemburg verboten sind, kein Risiko für die Gesundheit von Menschen und Tieren bestehe.
Publikationen zum Thema, die z.T. nicht im Text verlinkt sind:
Measures Affecting the Approval and Marketing of Biotech Products (Studie der EU- Kommission, Englisch)
Hidden Uncertainties (Report zur Studie der EU- Kommission, Englisch)
Eine kleine Ergänzung zum Thema ökologische Sicherheit:
Im Landkreis Deggendorf in Niederbayern wurde ein nicht uninteressanter Kompromiss erzielt – neben einer extremen Verkleinerung der Anbaufläche wurde vereinbart, in organisierten Aktionen den Blütenstand von GV- Pflanzen vor dem Pollenflug zu kappen:
„Rechtzeitig zum Mais-anbau, der nächste Woche startet, haben sich die Erzeugergemeinschaft für Qualitätsgetreide und Speisemais, die Saatgutfirmen Monsanto und RAGT sowie die Grundstücksbesitzer auf einen Kompromiss beim geplanten Genmais-Anbau im Landkreis Deggendorf geeinigt: Auf jeweils nur noch 630 von ursprünglich gemeldeten 22 000 Quadratmetern wird in diesem Sommer gentechnisch veränderter Mais in Altenmarkt und Aholming angebaut. Zudem wird die Fahne, also der Blütenstand am Kopf der Maispflanze, gekappt, ehe die Pollen fliegen. So soll eine Aussaat des Genmaises verhindert werden. Mit dem Auftraggeber des Versuchsanbaus, dem Bundessortenamt, wurde außerdem vereinbart, dass ein Vertreter des Landwirtschaftsamtes Deggendorf das rechtzeitige Entfernen der Fahne vor dem Pollenflug begleiten und dokumentieren wird.“
http://www.pnp.de/nachrichten/artikel.php?cid=29-11909559&Ressort=bay&BNR=0
Die Umsetzung bleibt freilich abzuwarten…