Gewalt und Geschäfte – Ein Modellfall?
Terror und Gewalt im Irak scheinen trotz vielfältiger Bemühungen von politischer und religiöser Seite nicht abzubrechen. Staatspräsident Talabani, der sich vor kurzem mit den Führern von sieben bewaffneten Gruppierungen getroffen hatte, zeigte sich jedoch grundsätzlich optimistisch, dass eine Vereinbarung zum Gewaltverzicht noch getroffen werden könne.
An der US- amerikanischen Heimatfront sieht sich allen voran Donald Rumsfeld unablässig mit Vorwürfen konfrontiert, während der US- Kongress vor einer weiteren Explosion der Kriegskosten warnt und Betrugs- sowie Korruptionsfälle in Milliardenhöhe untersucht werden. Doch auch wenn sich die Umfragewerte von George W. Bush auf einem Tiefstand befinden, kann der US- Präsident zumindest die sich abzeichnende Regierungsbildung im Irak unter dem designierten Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki als „Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie im Irak“ feiern.
Ein neuer Hoffnungsträger?
Nuri al-Maliki wurde unter seinem Code- bzw. Kampfnamen „Jawad“ als bedeutendes Mitglied des irakischen Widerstandes gegen Saddam Hussein bekannt. Kürzlich legte er seinen Kampfnamen ab und forderte die Medien auf, künftig seinen bürgerlichen Vornamen Nuri Kamel Mohammed Hassan, bzw. dessen Kurzform Nuri, zu verwenden.
Maliki scheint nun sowohl von Sunniten als auch Kurden akzeptiert zu werden, obwohl seine politischen Ansichten mit denjenigen des ersten Kandidaten der Vereinten Irakischen Allianz, Ibrahim al-Jaafari, weitgehend übereinstimmen, der von Kurden sowie Sunniten abgelehnt wurde. Maliki ist – ebenso wie Jaafari – Mitglied der Islamischen Dawa Partei, fordert einen pluralistischen Staat, gilt als kritisch gegenüber der Führung des Iran und steht ausländischen Investitionen grundsätzlich positiv gegenüber. Bemerkenswert erscheint zudem die scharfe Kritik, die Maliki sowohl an den Angriffen auf Schiiten als auch an der Verfolgung des irakischen patriotischen Widferstandes übte. Maliki ist außerdem bekannt für sein Engagement in der Tierrechtsbewegung.
Die Nominierung von Maliki wird teilweise als Sieg des US- Botschafters im Irak, Zalmay Khalilzad, verstanden, der sich an den Verhandlungen beteiligt hatte und u.a. Malikis Unabhängigkeit vom Iran betonte, der Khalizad zufolge „alle gedrängt hat“, Jaafari als Kandidaten beizubehalten.
Anhaltender Terror
Als einen „Sieg im Krieg gegen den Terror“ hatte George W. Bush in einer Rede am 1. Mai 2003 die „Schlacht im Irak“ bezeichnet, und spätestens mit der Wahl einer Nationalversammlung im Januar 2005 versprachen sich viele Beobachter der Vorgänge einen erkennbaren Rückgang an terroristischen Aktivitäten, doch auch ein Jahr nach dem ersten Zusammentreffen der frei gewählten Regierung des Irak ist von einem solchen Effekt nichts zu erkennen. Bedeutende Politiker und religiöse Führer rufen zwar wiederholt zum Gewaltverzicht auf, doch ob solche Appelle Auswirkungen auf ausländische Terroristen haben, kann – auch angesichts der anhaltenden Gewalt – bezweifelt werden.
Ajatollah Ali al-Sistani forderte vor einigen Tagen die künftige Regierung auf, die verschiedenen Milizen zu entwaffnen. Ob sich diese einfach befrieden oder möglicherweise in die offiziellen Kräfte einbinden lassen, bleibt jedoch fraglich.
Der gegenwärtige Staatspräsident des Irak, Jalal Talabani, zeigte sich unterdessen nach einem Treffen mit Vertretern von sieben bewaffneten Widerstandsgruppen optimistisch, einen Kompromiss aushandeln zu können.
Korruption und Betrug
Der Monat April bescherte den US- Streikräften mit 67 Opfern die größten Verluste im Jahr 2006, und auch die finanziellen Kosten schießen aus mehreren Gründen in die Höhe. Einerseits waren die Nachkriegspläne und -prognosen der US- Administration unzulänglich, weswegen nun weitere Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen, andererseits werden die verfügbaren finanziellen Mittel durch Betrug, Korruption und Verschwendung um Milliardenbeträge dezimiert, wie vor kurzem auch ein Untersuchungsausschuss des US- Kongresses bestätigte, der berichtete, dass gegenwärtig 72 Fälle von Betrug und Korruption untersucht werden, und die Spuren nicht nur in die USA, sondern auch nach Europa und in den Mittleren Osten führen.
In einem Fall wurde festgestellt, dass drei Jahre nach der Invasion nur 6 (sechs) von 150 (hundertfünfzig) Gesundheitszentren fertiggestellt wurden, während bereits 75% der Gelder ausgegeben waren. In einem Bericht des Untersuchungsausschusses heißt es dazu:
„Vierzehn weitere [Gesundheitszentren] werden durch den Auftragnehmer fertiggestellt, die weiteren [hundertdreißig] müssen durch andere Maßnahmen fertiggestellt werden.“
Auch das wichtige Projekt „Task Force Shield“, in dessen Rahmen private Sicherheitsfirmen den Aufbau des irakischen Sicherheitsnetzes für Ölindustrie und Elektrizität übernehmen sollten, sieht sich scharfer Kritik ausgesetzt und wird wegen Verdachts auf Betrug untersucht. „Task Force Shield“ ist eine Zusammenarbeit zwischen US- Kräften, irakischen Stämmen und der britischen Sicherheitsfirma Erinys, die angeblich zahlreiche (sowie wenige namentlich bekannte) ehemalige Söldner des südafrikanischen Apartheid- Regimes beschäftigt.
Rumsfeld weiterhin unter Beschuss
Von den Ex- Offizieren um Gen. Zinni bis hin zum ehemaligen Außenminister Powell, der jüngst verlauten ließ, er hätte sich schon zu Beginn des Krieges mehr Truppen erbeten, übten inzwischen zahlreiche konservativ- republikanische Politiker sowie Militärs scharfe Kritik an Verantwortungsträgern innerhalb der Bush- Administration, insbesondere an Donald Rumsfeld. Selbst das „Project for the New American Century“ (PNAC), das Rumsfeld in der Vergangenheit zu seinen Mitgliedern zählte, distanziert sich zunehmend von ihm. Bill Kristoll etwa, einer der Gründer von PNAC, regelmäßiger Kommentator bei FOX TV und Redakteur des konservativen Weekly Standard, liebäugelte in einem Artikel in exemplarischer Weise mit einem Personalwechsel im Verteidigungsministerium.
Zu den auch von neokonservativer Seite erhobenen Vorwürfen zählen, zumindest bei einigen Kritikern:
– Kriegslügen (insbesondere die angeblichen Massenvernichtungswaffen sowie die angebliche Irak- Al-Qaida- Connection)
– militärisch- strategische Fehler beim Einmarsch
– zu geringe Truppenkontingente
– die Auflösung der irakischen Armee
– Fehler, Verschleppungen und Korruption beim Wiederaufbau
Wird Rumsfeld nun tatsächlich von seinen ehemaligen Generälen, Ministern und medialen Unterstützern, die noch vor nicht allzu langer Zeit tief in die Kriegspropaganda verstrickt waren, und seinen Kollegen vom PNAC, die mit der Umsetzung ihrer Pläne nicht einverstanden sind, notgedrungen zum Sündenbock gemacht? Oder hat er inzwischen von Präsident Bush ein „Go!“ für seinen Rücktritt bekommen und inszeniert freiwillig mit Hilfe von alten Freunden einen für seine Partei- und Gesinnungsgenossen politisch brauchbaren Abgang?
„Nichts davon hat in der Praxis Bestand“
Terror und Gewalt, regelmäßige Entführungen, Arbeitslosigkeit, Strom- und Wassermangel belasten die Iraker weiterhin schwer. Hunderttausende Iraker sind ins Ausland geflohen und leben noch immer, mit vagen Aussichten auf eine halbwegs sichere Rückkehr, im Exil.
In einem Interview mit Karin Leukefeld äußerte sich Dr. Fida Safa Mohamed Ali, die im irakischen Ministerium für Wissenschaft und Technik die Forschungsabteilung leitet, folgendermaßen:
„Wir kennen Krieg, drei große Kriege haben wir seit 1980 erlebt, als der Iran-Irak-Krieg begann. Aber in keinem der Kriege haben wir so gelitten, wie jetzt. Ich würde sagen, dass wir gar nicht richtig leben, es ist jenseits aller Vorstellungen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Land besetzt oder eine Regierung gestürzt wurde. Es ist auch nicht das erste Mal, dass es eine Revolution gab, aber dennoch sind wir ein Modellfall für etwas, was Menschen noch nie erlebt haben. Ich kann zwar nicht sagen, dass wir keine Regierung haben, aber dennoch, seit drei Jahren haben wir einfach keine Ansprechpartner.
[…]
Wenn wir uns die Sache theoretisch ansehen und hören, was die Politiker sagen, könnten wir schon optimistisch sein. Aber nichts davon hat in der Praxis Bestand und wenn wir die Fakten analysieren, bleibt nur Pessimismus. Selbst die neue Regierung basiert auf Trennung. Die Politiker wurden nicht ausgewählt, weil sie klug, weise und anerkannt sind, nein. Kriterium für ihre Wahl war, welcher Religion, welcher Gruppe sie angehören. Und wenn etwas auf falschen Fakten aufgebaut ist, wird und kann es nicht funktionieren.“
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