"Religiöse Verunsicherung" zwischen Kritik und Zensur

Obwohl die Verfilmung von Dan Browns Bestseller „Sakrileg“ auch von der weltlichen Kritik förmlich zerrissen wurde, können die Produzenten des Films relativ hohe Besucherzahlen feiern, zu denen möglicherweise auch die Proteste von Seiten der christlichen Gemeinden beigetragen haben. Doch nachdem der Film in mehreren Ländern verboten, zensiert oder mit Warnhinweisen versehen wurde, scheint sich inzwischen zumindest das „Werk Gottes“ über die Publizität zu freuen.

Bad News is Good News
Weder Plagiatsvorwürfe noch negative Berichte der weltlichen Presse konnten den Erfolg des umstrittenen Films merklich beeinträchtigen, Buch und Hörspiel halten sich weiterhin tapfer in den Toplisten und die nonkonformen Theorien um das Leben des christlichen Heilands wurden zum beliebten Gesprächsthema. Als hätte man sich damit abgefunden, gibt sich Opus Dei – allen Vorwürfen und Gegendarstellungen zum Trotz – mittlerweile gelassen: „Die Menschen beschäftigen sich wieder mit dem Glauben,“ stellte der Sprecher Beat Müller fest und berichtete von Millionen Zugriffen auf die Internetseite der Personalprälatur. Das „Werk Gottes“ wehrt sich selbstverständlich weiterhin entschieden gegen die Darstellung von Opus Dei durch Dan Brown, und reagierte u.a. mit Werbefilmen, die ihre Vertreter als vertrauenswürdige Wissenschaftlerinnen und Familienväter aus der Mitte der westlichen Gesellschaft zeigen. Auch viele weltliche Zeitungen bemühten sich anschließend um eine Kritik an der Inszenierung der Personalprälatur.
Proteste, Verbote, Erfolge
Bisher wurde der „Da Vinci Code“ in folgenden Ländern, Städten oder Bundesstaaten verboten oder aus Rücksichtnahme auf christliche Gemeinden nicht mehr aufgeführt:
Weißrussland: Als Reaktion auf die Proteste christlicher Gruppen wurde die Aufführung nach vier Tagen eingestellt. Zuvor wurden Aushänge in den Kinos des Landes angebracht, die darauf hinwiesen, dass die Geschichte des Films, der erst ab 18 Jahren freigegeben war, nicht auf Fakten basiere. Präsident Aljaksandar Ryhorawitsch Lukaschenka, der von Kritikern als „letzter Diktator Europas“ bezeichnet und der Missachtung fundamentaler Menschenrechte bezichtigt wird, ist eng mit der orthodoxen Kirche verbunden und warnte die Einwohner seines Landes wiederholt vor dem Einfluss westlicher Kultur.
Samoa: Die Aufführung und Verbreitung des Films wurde generell verboten, sowohl im Kino- als auch im Video- und DVD- Format. Kritiker der Entscheidung, wie etwa der Kinobesitzer Maposua Rudolf Keil, sehen in Folge des Verbotes fundamentale Rechte gefährdet.
Salomonen: Obwohl weder öffentliche Kinos noch eine eigenständige Zensurbehörde existieren, wurde der „Da Vinci Code“ auf den Solomon Islands verboten. Filme werden im Inselstaat jedoch ohnehin überwiegend durch raubkopierte DVDs verbreitet.
– Philippinen: Die Aufführung des Films wurde zumindest in der Hauptstadt Manila eingestellt, nachdem die Stadtverwaltung gedroht hatte, die entsprechenden Kinos zu schließen. Neben einer Geldstrafe wurde den Kinobesitzern mit einer einjährigen Haftstrafe gedroht. Angeheizt wurde durch diese Vorgänge vor allem die Diskusion um die Personalprälatur Opus Dei, mit der sich u.a. die Zeitung „Philippine Daily Inquirer“ vermehrt beschäftigt.
Sri Lanka: Präsident Mahinda Rajapakse verbot den Film in allen Formaten als Reaktion auf Proteste der katholischen Bischofskonferenz. Der Verkauf des Buches bleibt jedoch weiterhin erlaubt.
– Indien: Die Aufführung des Films wurde bisher in den beiden Bundesstaaten Nagaland und Punjab generell verboten. Im christlich dominierten Nagaland, dessen Status als Teil von Indien seit geraumer Zeit umstritten ist, wurden sowohl Film als auch Buch verboten. Der Regierung des Bundesstaates zufolge ist der Roman ein „direkter Angriff auf den christlichen Glauben“, der Film „blasphemisch und beleidigend“. Kinobesitzern und Filmverleihern drohen bei Nichtbeachtung des Verbots Haftstrafen. Im Bundesstaat Punjab wurde von offizieller Seite auf Geheimdienstquellen verwiesen, die vor gewalttätigen Ausschreitungen warnten.
In den übrigen indischen Bundesstaaten wird der Film nun trotz christlicher Proteste mit einer Woche Verzögerung in voller Länge aufgeführt, nachdem sich die Produzenten von „Sakrileg“ bereit erklärt hatten, mit zwei Einblendungen von jeweils 15 Sekunden die „fiktive Natur“ des Werkes klarzustellen: „Die dargestellten Personen und Ereignisse sowie ihre Namen sind erfunden. Ähnlichkeiten mit Namen, Personen oder der Geschichte von bekannten Personen sind vollkommen zufällig und ohne Absicht.“
Bereits vor dem internationalen Filmstart wurde in Indien versucht, über gerichtliche Beschlüsse die Aufführung zu verhindern, was jedoch bisher keinen Erfolg hatte. Das Verbot für Zuschauer unter 18 Jahren und die erwirkten „Warnhinweise“ können jedoch als Teilerfolge der protestierenden Christen verbucht werden. In zahlreichen anderen Ländern, darunter auch Deutschland, blieben die Proteste hingegen ohne Auswirkung. Dementsprechend wird nun in vielen indischen Medien diskutiert, wie es um die freie Meinungsäußerung im Lande steht, während Zensur und Verbote als Reaktion auf künftige Proteste erwartet werden.
Gefordert und diskutiert wurden Maßnahmen gegen den „Da Vinci Code“ in zahlreichen Ländern, entsprechende Demonstrationen erreichten jedoch teilweise sehr geringe Teilnehmerzahlen. In Russland wurde ein Filmplakat auf einem Scheiterhaufen verbrannt, während man angeblich Buch und Autoren ein ähnliches Schicksal versprach. Passanten zeigten sich Berichten zufolge weitgehend amüsiert und nahmen das Geschehen teilweise per Handykamera auf. In Thailand wurde der Film als Reaktion auf christliche Proteste um zehn Minuten gekürzt.
Doch nicht nur Christen, sondern auch muslimische Gruppen wollten die Aufführungen u.a. per Staatsanwaltschaft stoppen. Die geistliche Führung der Muslime in Russland stellte „Sakrileg“ in eine Reihe mit den „extremistischen Karikaturen des Propheten Mohammed“, da der Film den Propheten Jesus verhöhne. In einigen islamischen Ländern wird der „Da Vinci Code“ nun boykottiert.
Trotz zahlreicher dezidiert negativer Kritiken auch in den weltlichen Medien erreichte der „Da Vinci Code“ sehr gute Zuschauerzahlen und legte einen der erfolgreichsten Filmstarts aller Zeiten hin, ohne jedoch Kassenschlager wie „Star Wars III“ von ihrem Podest zu stoßen. In den USA wurde der Film inzwischen durch die neueste „X-Men“- Verfilmung von Platz 1 verdrängt.
Nächste Verschwörung in den Startlöchern
Sony Pictures zeigt sich nach dem Erfolg der „Sakrileg“- Verfilmung an einem früheren Werk von Dan Brown interessiert, das in Deutschland unter dem Titel „Illuminati“ (Original: „Angels & Demons“) erschienen ist und wie das spätere „Sakrileg“ die Bestsellerlisten stürmte. Der „Da Vinci Code“ bescherte seinem Autoren ein Gerichtsverfahren, in dem er von zwei Autoren (Baigent und Leigh, Autoren von „Holy Blood, Holy Grail“) erfolglos des Plagiats beschuldigt wurde, doch die Hintergrundgeschichte zu „Illuminati“ basiert allem Anschein nach in größeren Teilen auf eigenen Überlegungen. Zahlreiche Filmkritiker werden nun hoffen, dass zumindest ein anderer Regisseur engagiert wird, nachdem bereits bekannt gegeben wurde, dass Drehbuchautor und Produzententeam erneut verpflichtet werden.
Der „spirituelle Kampf“
Während Tom Hanks aus Furcht vor Übergriffen auf seine Familie zusätzliche Leibwächter anstellt, nimmt die Auseinandersetzung mit dem „Da Vinci Code“ bisweilen interessante Formen an. So beschwert sich bspw. die Internetzeitung Russland.ru, dass das „Priorat von Zion – Anhänger heidnischer sexueller Zügellosigkeiten – im Film als sündenfrei und unbescholten dargestellt wird,“ während „das Christentum und insbesondere der katholische Orden Opus Dei als Ausgeburt der Hölle gezeigt“ wird. In den katholischen Nachrichten wiederum ist zu lesen, dass sich „schon der erste Papst“ mit „Leuten wie Dan Brown und Co. herumschlagen“ musste, während die Urchristen „ohnmächtige Wut“ erlebten, „weil ihnen das Gebot der Feindesliebe verbot, sich in islamischer Manier mit Händen und Füßen zu wehren.“
Im gleichen Artikel wird der ehemalige Gerichtsreporter Lee Strobel, der gegenwärtig u.a. die „Intelligent Design“- Theorie vor der Evolutionsbiologie zu verteidigen sucht, als Kronzeuge für die biblische Version der Geschichte um Jesus Christus herangezogen. Strobel befasste sich näher mit dem Christentum, nachdem seine Frau zu selbigem übergetreten war und lehrt heute als Pastor an der „Willow Creek Community Church“. Strobels neuere Werke, bspw. „Der Fall Jesus“, wurden in kirchlichen Kreisen bejubelt, von weltlichen Kritikern jedoch ernüchternd bewertet.
In Indien wurde bereits vor dem Filmstart eine Buchhandlung von etwa 25 Personen gestürmt, Händler wurden beiseite geschoben und Exemplare von Browns Roman auf den Boden geworfen, bis schließlich ein Brief der offenbar christlichen Vandalierer an den Manager des Ladens übergeben wurde: „Wir sind schockiert in der gestrigen Zeitung zu lesen, dass sie ein Buch verkaufen, das der Devinchi Code [sic] genannt wird. In diesem Buch hat der Autor unseren Herrn Jesus Christus beleidigt…“
Das Ringen um Deutungshoheit über die Geschichte wird mitunter zum „spirituellen Kampf“ stilisiert, „nicht nur zwischen Licht und Dunkelheit, und zwischen Wahrheit und Lüge, sondern auch zwischen Leben und Tod,“ wie es der baptistische Theologe Albert Mohler Jr. formuliert. In Anbetracht derartiger Verlautbarungen ist wohl so mancher Kirchenkritiker gewillt, sich lieber auf den derzeit stark frequentierten Internetseiten der Personalprälatur Opus Dei umzuschauen, die sich immerhin mit freundlichen Werbevideos verteidigt.

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Eine Antwort

  1. Shiraffa sagt:

    Danke, sehr interessant. Zum Glück sind die meisten Atheisten eher rational denkende Menschen. Ich mag mir gar nicht ausdenken, was passieren würde, wenn allerorten die offen sichtbaren Zeichen der Religion verbrannt würden.
    Oder eine Horde „Ungläubiger“, die eine Buchhandlung stürmt, sämtliche esoterischen und religiösen Schriften aus den Regalen reisst und dann dem Buchhändler „The encyclopaedia of unbelief“ überreicht.
    Echt schade, daß sich so viele Menschen in die Lage versetzt sehen, das einzig Gültige, die „echte Wahrheit“ zu kennen und dabei nicht einmal zwischen einer Fiktion und wahrer Herabwürdigung ihrer Religion unterscheiden können/wollen.

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