Das Zweistromland ist "keine MVW- freie Zone"
Pünktlich zu den Irak- Debatten in Kongress und Senat brachten republikanische Politiker die eigentlich längst bekannte Thematik der 15- 20 Jahre alten Chemiewaffen, die seit 2003 von US- Truppen im Irak eingesammelt werden, in die Medien. Obwohl die entsprechenden Meldungen in Amerika bis heute für Aufregung, aber auch Kritik sorgen, wurden sie in der internationalen Berichterstattung kaum erwähnt.
Und es gab sie doch!
Die Suche nach irakischen Massenvernichtungswaffen wurde von vielen Beobachtern des Krieges schnell unter „Fehlinformation“ oder gar „Kriegspropaganda“ abgehakt, und spätestens nach den Berichten der Iraq Survey Group schien sich die Öffentlichkeit anderen Fragen, Gründen und Problemen zuzuwenden. Viele Anhänger der US- amerikanischen Irak- Politik stellten jedoch weiterhin regelmäßig die Möglichkeit heraus, dass man im Irak jede Minute fündig werden könnte. Noch immer seien nicht alle möglichen Vestecke untersucht worden, Vertuschungs- und Täuschungsmanöver gehörten seit jeher zu den Stärken des Saddam- Regimes, und der Irak sei schließlich ganz grundsätzlich ein großes Land. Dem war und ist kaum sinnvoll zu widersprechen. Auch der ehemalige Mossad- Direktor Efraim Halevy vermutete Ende April 2006 in der Daily Show, dass im Irak „heute, morgen oder in einer Woche“ doch noch die gesuchten Massenvernichtungswaffen ausgegraben werden könnten.
Als den Zuschauern des US- amerikanischen Fernsehsenders FOX NEWS schließlich vor etwa eineinhalb Wochen die Meldung „REPORT: 500 CHEMICAL WEAPONS FOUND IN IRAQ“ über die Mattscheiben flimmerte, schienen sich die Prognosen für viele bewahrheitet zu haben. Die FOX- Moderatoren kommentierten eifrig, zahlreiche Zeitungen und Online-Medien griffen die Meldung auf und verbreiteten sie weiter. Auch in vereinzelten deutschsprachigen Medien wurden die Story unter der Überschrift „Hunderte Chemiewaffen im Irak gefunden“ aufgegriffen.
Zuvor hatten die republikanischen Politiker Rick Santorum (Senator, Vorsitzender der Senate Republican Conference) und Peter Hoekstra (Kongressabgeordneter, Vorsitzender des U.S. House Permanent Select Committee on Intelligence) auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass die Streitkräfte im Irak inzwischen rund 500 chemische Waffen gefunden haben. Dabei wurde aus freigegebenen Teilen eines Berichts des National Ground Intelligence Centers zitiert, in dem „nicht abschussbereite Waffen“ mit Senfgas und Sarin beschrieben werden.
Hoekstra schlussfolgerte, dass der Irak „keine Massenvernichtungswaffen-freie Zone“ gewesen sei und gab bekannt, dass die US- Kräfte auch in Zukunft mit weiteren Funden rechnen. Saddam Husseins Behauptung, alle MVW seien vernichtet worden, sei somit ein Lüge gewesen. „Es ist für die amerikanischen Menschen erforderlich, zu verstehen, dass diese Waffen im Irak vorhanden sind,“ äußerte Senator Santorum.
Doch selbst beim regierungstreuen Sender FOX NEWS wurde Santorum schließlich – in der Talkshow Hannity & Colmes – höflich darauf hingewiesen, dass die Waffen aus der Zeit vor 1991 stammten und zur Zeit des jüngsten Irak- Krieges mitnichten einsatzfähig waren, während sich die Debatte vor dem US- Einmarsch um laufende Programme drehte – diverse Satellitenbilder und Skizzen angeblicher mobiler Biowaffenlabors wurden diesbezüglich in den Medien platziert und sind noch nicht vollständig aus der Erinnerung der Weltbevölkerung verschwunden. Thomas McInerey, ein Militärexperte von FOX NEWS, vermutete schließlich, dass die Bush- Administration die skandalösen Neuigkeiten unter Verschluss hielt, um die Waffenexporteure China, Russland und Frankreich zu schützen.
Die seit Jahren eingesammelten nicht- einsatzfähigen Chemiewaffen sind offenbar zumindest teilweise – nicht nur für ihre Entdecker – weiterhin gefährlich, da einige Substanzen wahrscheinlich noch immer toxisch wirken. Spätestens seit dem Einmarsch der „Koalition der Willigen“ besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Waffen in die Hände von Terroristen oder Aufständigen fallen.
„Smoking Gun“ weiterhin vermisst
Dass im Irak vereinzelte Bestände an ausrangierten Waffen existieren, ist jedoch, vielen gegenwärtigen Kommentaren zum Trotz, schon seit Jahren bekannt. Die von der Bush- Administration ins Leben gerufene Iraq Survey Group schlussfolgerte Ende September 2004 im sogenannten „Duelfer- Report“:
„Während eine Anzahl alter, herrenloser chemischer Munition entdeckt wurde, urteilt die ISG, dass der Irak seinen Vorrat an nicht- deklarierten chemischen Waffen 1991 zerstörte. Es existieren keine glaubwürdigen Anzeichen, dass Bagdad danach die Produktion von chemischen Waffen fortsetzte, eine Politik, welche die ISG dem Wunsch Bagdads zuordnet, die Sanktionen aufgehoben oder belanglos gemacht zu sehen, oder der Furcht vor Gewalt, sollten MVW entdeckt werden.“
(Zitat aus der Zusammenfassung bei GlobalSecurity.org)
Charles Duelfer selbst bestätigte im Rahmen der aktuellen Diskussionen noch einmal, das es sich um alte Waffen handelte, die keineswegs auf ein fortgeführtes irakisches Programm zur Herstellung chemischer Waffen hinweisen. Mehrere Geheimdienstmitarbeiter, die aufgrund der heiklen Thematik anonym blieben, bestätigten auf einem Treffen mit Journalisten die Aussagen Duelfers. Die Demokratin Jane Harman bemerkte, dass die fraglichen Berichte „nichts Neues“ enthielten, und wies auf den auffälligen Zeitpunkt der Veröffentlichungen hin, die ein politisches Argument unterstützen sollten. Die Öffentlichkeit „wird es nicht für eine Sekunde abkaufen,“ fügte sie hinzu. Auch Hoekstra selbst konzedierte, dass es sich bei den Funden nicht um eine „Smoking Gun“ handelte.
Dennoch wurde die Debatte ausgenutzt, um ein schlechtes Licht auf die Demokraten zu werfen. In Senat und Kongress wurde mehrfach geäußert, dass keine MVW im Irak gefunden wurden. Santorum konnte nun behaupten, dass die beschriebenen Dokumente das Gegenteil beweisen. „Es ist sehr schwer, diese [Waffen] als die unmittelbar bedrohlichen Waffen zu charakterisieren, von denen uns gesagt wurde, dass wir nach ihnen suchen,“ bemerkte hingegen die demokratische Kongressabgeordnete Ellen Tauscher.
Einseitiges Interesse
Einige überzeugte Waffenjäger wie etwa Dave Gaubatz wiederum werfen der US- Regierung vor, die Suche nach irakischen MVW nicht mit ausreichend Aufwand zu betreiben. Gaubatz ist überzeugt, durch seine Recherchen mehrere Waffenlager ausfindig gemacht zu haben. „Ich will einfach nicht, dass sie in die falschen Hände fallen,“ sagte er gegenüber der New York Times. Ähnliche Vorwürfe kommen u.a. von Kommentatoren bei FOX NEWS, wie etwa Thomas G. McInerney, der fest daran glaubt, dass irakische MVW mit russischer Hilfe nach Syrien und in den Libanon umgelagert wurden. Der ehemalige CIA- Mitarbeiter Duane R Clarridge wiederum vermutet, dass die Waffen per Schiff in den Sudan verfrachtet wurden. „Und wir denken, dass wir wissen, welches Schiff [es war],“ gab er vor kurzem in einem Interview bekannt.
Die Waffenjäger können sich nicht nur auf die vergangenen Verlautbarungen der Bush- Administration stützen, denen zufolge es „keinen Zweifel“ gab, dass der Irak „weiterhin einige der gefährlichsten und tödlichsten Waffen, die jemals entwickelt wurden, besitzt und verbirgt“, sondern bekommen auch gegenwärtig aus Kongress und Senat Unterstützung. Der Abgeordnete Curt Weldon sorgte vor kurzem zusammen mit Peter Hoekstra für zwei Treffen zwischen Gaubatz und Mitarbeitern der Defense Intelligence Agency (DIA) in Dallas. Die DIA bestätigte die Treffen, kommentierte diese jedoch nicht weiter. Gaubatz zeigte angeblich Satellitenfotos von möglichen Waffenlagern. „Sie waren sehr interessiert,“ sagte er, befürchtete jedoch, dass sich die DIA nicht um seine Vorschläge kümmern würde. Folgt man den Äußerungen von Gaubatz, scheint es beinahe so, als sei die Bergung von Chemiewaffen im Irak nicht von allzu großem Interesse.
Die zu Beginn des jüngsten Irak-Krieges von Kritikern der US- Invasion vorgebrachte sarkastische Bemerkung, die US- Truppen könnten möglicherweise noch einige der mit US- amerikanischer Hilfe erstellten Biowaffen aus den 80er Jahren einsammeln und als Beweis für die MVW- Vorwürfe werten, klingt heute jedenfalls nicht mehr allzu realitätsfern.
Peter Hoekstra verwies schließlich einmal mehr auf die häufig bemühte Möglichkeit skandalöserer Funde: „Es war ein weiteres Teil in einem Puzzle … und wer weiß, was noch im Irak ist. Es gibt noch immer vieles, das wir nicht wisen.“
Abzugspläne und Militärbasen
Im Irak selbst gehen unterdessen die Anschläge weiter, gänzlich unbeeindruckt von Antiterror- Erfolgen und Masterplänen.
Verschiedene Strategien zum Truppenabzug, die von US- amerikanischen Politikern vorgeschlagen wurden, stießen im Senat auf Ablehnung. Kurze Zeit später wurde jedoch bekannt, dass auch General Casey und Verteidgungsminister Rumsfeld dem Präsidenten einen Plan vorgelegt haben, der eine starke Reduzierung der Truppen bis Ende 2007 beinhaltet. „Wir werden erst wegtreten, wenn die Iraker aufstehen,“ hatte George W. Bush unlängst bekannt gegeben. Wann die Iraker bereit sein werden, prognostizierte die Bloomberg- Kolumnistin Margaret Carlson: „Wenn der Präsident verkündet, dass sie es sind.“
Parallel zu den Abzugsplänen ist jedoch der Aufbau permanenter Militärbasen im Irak zu erwarten. Gerechnet wird teilweise mit 50.000 Soldaten, die auch Jahre nach dem eigentlichen Truppenabzug im Irak stationiert bleiben sollen, und der Sicherung von militärischem sowie politischem Einfluss im Nahen Osten dienen könnten. In Senat und Kongress werden die Pläne für permanente Basen jedoch sehr wechselhaft behandelt. Ob es auch unter einer neuen Regierung nach einem Truppenabzug tatsächlich zu permanenten Basen kommen wird, ist noch nicht abzusehen. Von den bekannt gewordenen Plänen bis hin zur der riesigen, 21 Gebäude umfassenden US- Botschaft in Bagdad, die sich noch im Bau befindet, spricht jedoch viels dafür.
Weiterführende Artikel:
U.S. general says old Iraqi WMD found
Weldon: WMD discovery justifies invasion
Indiana Jones? No, it’s Weldon
Munitions Found in Iraq Renew Debate
Letzte Kommentare