Die Kana- Verschwörungstheorie
In zahlreichen Blogs, einigen Fernsehshows, aber auch der internationalen und deutschsprachigen Presse wurde in den vergangenen Tagen auf Theorien hingewiesen, denen zufolge die Auswirkungen der Luftangriffe auf die libanesische Stadt Kana (Qana) in der ein oder anderen Hinsicht anzuzweifeln sind.
Regelmäßig wurde dabei die Rolle eines libanesischen Helfers diskutiert, der auch nach dem Kana- Massaker 1996 vor Ort war. Angeblich wurde er über Stunden hinweg dabei fotografiert, wie er die gleichen Leichen herumtrage. Eindeutig falsch ist zumindest die Angabe bei der FAZ, dass der libanesische Helfer, zu dem im EU Referendum Blog gefragt wird, ob es sich um einen Hisbollah- Aktivisten handelt, einmal mit Helm, ein anderes Mal mit Leuchtweste auf den Bildern erscheint. Richtig ist, dass er auf den meisten Bildern sowohl Helm als auch Leuchtweste trägt und beides auf vereinzelten Bildern ausgezogen hat. Warum er – den Zeitangaben zu den entsprechenden Bildern zufolge – über längere Zeit hinweg die gleichen Leichen umher zu tragen scheint, bleibt zunächst fraglich. Dass er zu diesem Zweck mit Helm und Leuchtweste abwechselte, um sich medientauglich zu verkleiden, scheint jedoch absurd, da lediglich Fotografien existieren, in denen er die Schutzkleidung komplett abgelegt hatte.
Die FAZ und andere Medien bezogen sich in ihren Veröffentlichungen fast ausschließlich auf Internetseiten, in denen freimütig die entsprechenden Verschwörungstheorien vorgetragen werden. Nachrichtenagenturen hingegen haben schnell auf die Vorwürfe einer Inszenierung reagiert, nachdem sogar im Fernsehen auf die Theorien des EU Referendum Blogs aufmerksam gemacht wurde. Vom EU Referendum Blog wiederum gab es eine Antwort, in der Zitate der Nachrichtenagenturen mit ironischen Kommentaren versehen wurden.
Ein weiterer häufig genannter Punkt ist die Anzahl der Opfer, die zunächst mit 54 beziffert wurde. Dass diese Zahl schließlich auf 28 korrigiert wurde, während 13 Menschen weiterhin vermisst bleiben, diente wieder als Anlass für Verschwörungstheorien. Die zunächst falschen Angaben wurden jedoch durch eine zu schnelle Verbreitung der ersten Bestandsaufnahme in Welt gesetzt: ein Überlebender gab bekannt, dass sich 63 Menschen im Gebäude aufgehalten hatten, während zu dieser Zeit nur 9 Überlebende ausfindig gemacht werden konnten. Bald stellte sich jedoch heraus, dass 22 Menschen überlebt hatten. 13 Menschen gelten weiterhin als vermisst.
Des Weiteren wurde der Einsturz des Gebäudes teilweise der Nachhilfe durch die Hisbollah zugeschrieben, obwohl alternative Möglichkeiten, etwa nachfolgende Explosionen oder Luftangriffe in der Nähe, existieren und auch die Untersuchungen der israelischen Armee in dieser Hinsicht noch nicht abgeschlossen sind. Somit bleiben – wie bei vielen Verschwörungstheorien – bis auf Weiteres einige Fragen unbeantwortet.
Die Kana- Verschwörungstheorien wurde zumindest im Blog der Washington Post kritisch hinterfragt. Der Autor des Artikels vergleicht die Theorien zum jüngsten Vorfall in Kana u.a. mit den 9/11- Theorien:
„Zu einer Zeit, in der die amerikanische und israelische öffentliche Meinung zum Krieg radikal von der Weltöffentlichkeit abweicht, ist das Auftauchen eines rechtsstehenden Äquivalents zu den 11. September- Verschwörungstheorien bemerkenswert.“
Fraglich bleibt, ob die FAZ nun bei allen Vorfällen im Internet nach aktuellen Verschwörungstheorien zum Thema googelt, um diese ihrer Leserschaft als bemerkenswerte Alternative vorzustellen, oder ob Kana hier eine interessante Ausnahme bildet. Ändert sich etwa die Nachrichtentauglichkeit von Verschwörungstheorien mit der Frage nach Opfern und Tätern?
Auch die Damen und Herren der BILD haben sich zu dem Thema geäußert – schrecken dabei allerdings, welch eine Überraschung, scheinbar auch nicht vor Verfälschungen und Übertreibungen zurück:
http://www.bildblog.de/?p=1615