Der 110. US-Kongress
Mit der Demokratin Nancy Pelosi wurde zum ersten Mal in der US- amerikanischen Geschichte eine Frau zur Sprecherin des Kongresses gewählt. Die „Machtübernahme“ durch die Demokraten gibt Anlass für Prognosen und Spekulationen.
Trendwende oder Schmusekurs?
Neben der Wahl von Nancy Pelosi zur Sprecherin des Repräsentantenhauses wurde am Donnerstag die Vereidigung der Abgeordneten durchgeführt. Während dem Repräsentantenhaus 233 Demokraten und nur 202 Republikaner angehören, kommt die demokratische Mehrheit im Senat erst durch 2 unabhängige Senatoren zu Stande, die den Demokraten ihre Unterstützung zugesagt haben.
Beide Seiten versprachen sich Kooperation, doch wurden bereits Beschwerden von Seiten der Republikaner laut, die Demokraten würden sich nicht an ihre Ankündigungen halten. John Boehner, der zukünftige Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, forderte die Demokraten auf, ihre Gegenspieler so zu behandeln, „wie sie selbst behandelt werden möchten“; Bush warnte die Demokraten vor einer Blockadehaltung.
Viele US- Medien berichteten schon kurz nach den Kongresswahlen am 7. November 2006, dass der Präsident bald seine Pläne und Vorhaben nicht mehr adäquat durchsetzen werden könne, wodurch für alle künftigen Entwicklungen sowie alle anhaltenden Schwierigkeiten die Verantwortung zumindest teilweise auf den Widerstand im Kongress und die Notwendigkeit eines Kompromisses übertragen werden kann.
Gleichzeitig sind die Möglichkeiten der Demokraten beschränkt, sowohl was das politische Instrumentarium angeht, als auch in Bezug auf die amerikanische Wählerschaft: „Kein Zweifel, das politische Pendel ist von ganz rechts zurückgeschlagen, aber es ist dann doch rechts von der Mitte stehen geblieben,“ kommentierte Peter Schneider den Wahlerfolg der Demokraten treffend in der ZEIT, und fügte an, dass sich die Demokraten letztendlich als die „besseren Republikaner“ verkaufen konnten. Dieser Ansicht zufolge erwartet Amerika keine politische Kehrtwende, kein ideologischer Richtungswechsel, sondern die Kultivierung des Altbekannten.
Nancy Pelosi
Die aus einer italo-amerikanischen Politikerfamilie stammende Frau eines Investmentbankers gehört zu den reichsten Abgeordneten des Landes. Das Vermögen von Nancy und Paul Pelosi wird auf 25 bis 100 Millionen Dollar geschätzt. Sie beschreibt sich selbst als „konservativ katholisch“, tritt jedoch für das Recht auf Abtreibung ebenso ein wie für Umweltschutz, eine staatliche Sozialversicherung oder die Rechte homosexueller Paare. Pelosi gilt als engagierte Kritikerin der Bush- Administration, konsequente Gegnerin des Irakkrieges und Verfechterin einer glaubwürdigen Menschenrechtspolitik. Den Präsidenten bezeichnete sie schon als „inkompetent“ und „gefährlich“, seine Partei als „korrupt“. Nun wird von ihr jedoch erwartet, den Kompromiss zu suchen und somit auch einen Teil der Verantwortung zu übernehmen.
Eine Prüflatte für Pelosi wird nicht zuletzt die Schadensbegrenzung im Irak sein, doch eine wirkliche Änderung der aktuellen Politik wird wohl auch bei bestem Vorsatz nicht problemlos durchzusetzen sein. „Wir wollen mit dem Präsidenten zusammenarbeiten, um den Einstieg in den verantwortungsvollen Abzug unserer Truppen hinzubekommen“, sagte Pelosi, während Bush weiterhin eine Aufstockung der Truppen plant. Der Kongress könnte die Finanzierung der Truppen kappen, doch Pelosi wies diese Möglichkeit zurück.
Insgesamt wirkt die neue Sprecherin des Repräsentantenhauses sehr zuversichtlich. „Heute ändern wir die Richtung unseres Landes,“ verkündete sie, und hatte dabei wahrscheinlich einen gemäßigten innenpolitischen Linksruck im Sinn. Bush kann jedoch der Zukunft insgesamt gelassen entgegenblicken: ein Amtsenthebungsverfahren will Pelosi – im Gegensatz zu einigen Parteikollegen und der Mehrheit der Bürger ihres Wahlbezirkes – nicht einleiten. Auch John Conyers, einstiger Hoffnungsträger vieler Bush- Kritiker, ruderte nach den Wahlen in diesem Punkt zurück.
Die neue Sprecherin des Repräsentantenhauses unterstützte zwar die finanziellen Ausgaben für den „War on Terrorism“ und stimmte für den Patriot Act, lehnte jedoch die Erweiterungen von Befugnissen und Einschränkungen der Bürgerrechte in den folgenden Jahren zumindest teilweise ab. Interessanterweise glaubte Pelosi, dass der Irak Massenvernichtungswaffen habe, setzte sich aber gegen die Anwendung militärischer Mittel ein. Seit Kriegsbeginn wies sie immer wieder auf strategische und politische Fehler der Bush- Administration hin.
Pelosi ist weiterhin als scharfe Kritikerin des Iran und Verteidigerin israelischer Politik bekannt. Auf einem Treffen der zweitgrößten US- Lobbygruppe, dem American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), äußerte sie, dass es für das Verhältnis zwischen Israel und den USA überhaupt keine Rolle spiele, welche Partei an der Macht sei. Auch bekräftigte sie, dass inzwischen „die größte Bedrohung für Israels Existenzrecht“ vom Iran kommen würde. Die Asia Times zitierte Pelosi im Dezember 2006 als Beispiel für die Übernahme republikanischer und israelischer Kriegsrhetorik durch die Demokraten und warnte vor dem Widerspruch zwischen dem Wahlversprechen, die USA aus dem Irak herauszuholen und den Standpunkten von AIPAC und israelischer Regierung.
„Beweisen sie mir, dass sie nicht mit dem Feind zusammenarbeiten!“
Als erster Muslim in der Geschichte wurde Keith Ellison in den Kongress gewählt – und sorgte schon im Vorfeld der Vereidigung für Aufregung, indem er ankündigte, den Amtseid auf den Koran ablegen zu wollen. Die Kritik aus den Reihen der Republikaner konnte jedoch nicht verhindern, dass Ellison von der Kongressbibliothek der Koran von Thomas Jefferson zur Verfügung gestellt wurde.
Ellison wird als erster muslimischer Kongressabgeordneter kaum mit Samthandschuhen angefasst werden, aber er hat bereits einige Erfahrungen hinter sich. So wurde er bspw. im Anschluss an die Kongresswahlen 2006 bei CNN von Glenn Beck aufgefordert, zu beweisen, das er nicht „mit dem Feind“ zusammenarbeite: „Ich werfe ihnen nicht vor, mit dem Feind zusammenzuarbeiten, aber dass ist es, was ich fühle, und ich glaube, dass viele Amerikaner ebenso fühlen.“
Der republikanische Abgeordnete Virgil Goode warnte vor etwa zwei Wochen seine Anhänger in Bezug auf Ellison, dass wahrscheinlich bald „viel mehr Muslime“ gewählt werden, wenn die Amerikaner nicht „aufwachen“, und nutzte die Thematik, um eine restriktivere Einwanderungspolitik zu fordern.
100-Stunden-Programm
Im Anschluss an die Vereidigung des 110. Kongresses gaben die Demokraten die Eckpunkte eines 100-Stunden-Programmes bekannt, dessen Umsetzung ohne Verzögerung erfolgen soll. Vorgesehen sind u.a.:
– Erhöhung der Mindestlöhne
– Ende der Subventionierung von Ölkonzernen
– Ethik-Regeln für den Kongress, um die Verbindungen zwischen Lobbyisten und Abgeordneten zu lösen
– Ausweitung der Stamzellforschung
– Initiativen zu Gunsten von Senioren und Studenten
– Umsetzung der Vorschläge der 9/11- Kommission
Am ersten Arbeitstag des neuen Kongresses wurde einem Regelpaket zugestimmt, dass u.a. Abgeordneten verbieten soll, Geschenke, Essen oder Flugreisen von Konzernen anzunehmen. So wollen die Demokraten ihre Entschlossenheit demonstrieren, mit dem korrupten Kongress ausfzuräumen.
Langfristig stehen – neben der allgegenwärtigen nationalen Sicherheit – auch Veränderungen im Gesundheitssystem, die Förderung erneuerbarer Energien und eine Überprüfung des Einflusses der Ölkonzerne auf die Klimapolitik auf der Agenda. Richtungswechsel in der Außenpolitik sind nicht abzusehen, doch wohl am ehesten in Bezug auf den Irak zu erwarten.
hi hives!
Das ist eine interessante Schneise durch die Informationsflut, die Du hier gezogen hast, eine Linie, die viele kleine Facetten verbindet, ohne eine bestimmte Meinung von Dir besonders spürbar zu machen. Was ich ihr allenfalls vorwerfen könnte, daß sie viel zu kurz ist, nur ein kleines Puzzletheil in der großen undurchdringlich scheinenden Verflechtung der Amerikanischen Gegenwartspolitik und Gesellschaftsentwicklung… Ich wünschte, Du würdest Dich mal ein paar Jahre dem Recherchieren widmen und dann ein (fast aktuelles 😉 ) Buch zur Gegenwartspolitik schreiben…
Tja, ob sich was ändert durch die neuen Machtvertheilungen?…
Zumindest rethorisch hat sich im Umfeld der Niederlagen der Republikaner in beiden Häusern doch einiges gethan: Rumsfeld durfte seinen Hut nehmen, und auch der Präsident selbst redet von einer „neuen Irakpolitik“ (allerdings nicht die erste „neue“, wenn ich mich richtig erinnere)… Und beide Seiten zeigen sich bemüht, kompromißbereit zu seyn – was natürlich durch die jetzt nicht gerade einfacher gewordenen Machtvertheilungen noch mehr nothwendig geworden ist, will man weiterhin politisch handlungsfähig bleiben. Nur bei so gegensätzlichen Positionen wie der Irakpolitik wird am Ende in einem Kompromiß mal wieder nichts halbes nichts ganzes herauskommen, viel Änderungen sind da wahrlich nicht wahrscheinlich, leider.
Gruß,
Semiramis