Nicht "ursächlich" rechtsextrem?

Acht Inder werden von einem Altstadtfest im östlichen Teil der Bundesrepublik verjagt. Sie flüchten sich in ein Restaurant in der Nähe, wo sie von rund 50 Verfolgern belagert werden, während zwei Polizisten den Eingang bewachen. Vierzehn Personen werden insgesamt verletzt, neben den Gejagten vier Verfolger und die beiden Polizeibeamten. Rechte Parolen wurden offenbar gerufen, doch wie es zu dem Vorfall kam, ist weiterhin umstritten – die Darstellungen scheinen zwischen Nazi-Hetzjagd und Bierzeltschlägerei zu schwanken.
FDP streitet um Bürgermeister
Die ausländerfeindlichen Sprüche, die während des Vorfalles gerufen wurden, versuchte u.a. der Mügelner Bürgermeister und FDP-Politiker Gotthard Deuse zu verteidigen: „Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen,“ gab dieser angeblich gegenüber der Financial Times Deutschland zu Protokoll. Obwohl er sich noch am Mittwoch auf Anfrage nicht von der Äußerung distanzieren wollte, ließ er am Donnerstag FDP-Generalsekretär Dirk Niebel zurückrudern. Der umstrittene Satz sei nicht in dem Interview gefallen, Deuse habe nur gesagt, „dass manchem solche Parolen schnell über die Lippen kämen“, könne dies jedoch „nicht gut heißen“.
Gerufen wurde während der Mügelner Bierzelt-Hetzjagd u.a. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ und „Hier regiert der Nationale Widerstand“ – gegenüber FOCUS Online wertete Deuse die Parolen schließlich als Indiz, dass die Angreifer wahrscheinlich nicht aus Mügeln kamen, denn seine Stadt, so versicherte der Bürgermeister, sei „nicht rechtsextrem“. Ein Polizeibeamter bestätigte immerhin die Vermutung, dass es sich um auswärtige Besucher des Festes gehandelt habe.
Bürgermeister Deuse kritisierte im Weiteren auch Übertreibungen der Berichterstattung: „Mir schwillt der Kamm, wenn ich lese, die Inder seien durch die ganze Stadt gehetzt worden. Dabei sind es von dem Festzelt bis zu der Pizzeria nur 30 Meter.“
Viele seiner Parteikollegen zeigten sich von den Beschwichtigungsversuchen zwar wenig begeistert, doch zumindest der sächsische FDP-Vorsitzende Holger Zastrow verteidigte Deuse und kritisierte die Bundespolitik, die ihn als Zielscheibe benutze und zu wenig finanzielle Mittel für Initiativen gegen Rechtsextremismus zur Verfügung stelle.
„National befreite“ Dorffeste?
Polizeisprecher verkündeten, dass man nicht von einem „ursächlich rechtsextremen Angriff“ ausgehe, sondern eine „Rangelei im Festzelt“ als Auslöser der Vorfälle betrachte. Ausgerechnet Bürgermeister Deuse hatte jedoch Gerüchte über einen rechtsextremen Angriff erwähnt, der während des Festes stattfinden sollte – die auch der Polizei bekannt waren. Ilka Peter, eine Sprecherin der Polizeidirektion Westsachsen in Leipzig, sagte dazu: „Es gab Gerüchte über einen Überfall auf einen Jugendclub, und die kannten wir und sind denen auch nachgegangen, aber etwas Konkretes wussten wir nicht.“
Die Beteiligung einer organisierten rechtsgerichteten Gruppierung wurde bisher von der Polizei nicht festgestellt. Auch sei bei den Vernehmungen der festgesetzten Deutschen „kein rechtsextremer Hintergrund“ deutlich geworden. Sprecher der Opferberatungsprojekte RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule e.V.) und AMAL (Hilfe für Betroffene rechter Gewalt e.V.) reihen den Vorfall jedoch in eine Vielzahl rechtsextremer Aktionen in Sachsen ein. Rechtsextremisten hätten wiederholt versucht, Dorffeste „zu säubern“.
Dass es sich um kein rein ostdeutsches Phänomen handelt, verdeutlicht ein Vorfall in Rheinland-Pfalz, den man heute mit beinahe einwöchiger Verspätung bekannt gab: In der Gemeinde Guntersblum wurden am vergangenen Wochenende zwei Afrikaner von einer Gruppe Rechtsradikaler angegriffen. Ein 26-jähriger Sudanese wurde schwer verletzt, einem 39-jährigen Ägypter wurde mit einem Flaschenhals ein Finger abgetrennt.

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2 Antworten

  1. Komplize sagt:

    In der FAZ gibt es einen Artikel zu lesen, in dem die höhere Gewaltbereitschaft der ostdeutschen Jugendlichen im Vergleich zu westdeutschen Gleichaltrigen aus sozialpsychologischer Sicht erklärt wird. Ich finde diesen Ansatz recht interessant.
    Die These lautet kurz: nach der Wende hat sich im Osten eine Stimmung gebildet, in der sich viele als deklassiert und abgewertet gefühlt haben. Dieses Wir-Gefühl der Abgehängten führte zur Abschottung von der „Außenwelt“. Man fühlte sich als nicht gebraucht und wollte unter sich bleiben.
    Gleichzeitig haben viele Jugendliche ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern und können mit ihnen keine pubertären Machtkämpfe ausfechten. Durch den Mangel an (beruflichen) Möglichkeiten, Selbstbewußtsein durch Erfolgserlebnisse zu bilden, suchen sie Stärke und Anerkennung in Gruppen von Gleichgesinnten. Der Wunsch nach Einheit und fester Ordnung in der Gruppe ist sehr wichtig. Alles was dies stören könnte, wird als Bedrohung gesehen und zum Feindbild erklärt.
    Die gewaltbereiten Jugendliche haben oft keine gute (Aus)Bildung und somit keine Perspektive und kein Ziel, das ihnen Selbstachtung und Beachtung geben könnte. In der Gewalt erfahren sie endlich Macht statt Ohnmacht und Anerkennung statt Missachtung. Zumal wenn die Gruppenmitglieder sich gegenseitig zur Gewalt aufhetzen und die Gewalt als Stärke gefeiert wird.
    Ich denke, mann sollte neben der politischen Aufklärung gegen rechts auch diesen „Hunger nach Anerkennung“ vieler junger Schläger wahrnehmen und Angebote schaffen, die ihnen Erfolgserlebnisse ermöglichen.
    http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E6BF94A6C4E5F4139B6AFD82789ABB786~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  2. Semis sagt:

    Tja, nur mal meine ganz unqualifizierte spontane Meinung:
    „Bürgermeister Deuse kritisierte im Weiteren auch Übertreibungen der Berichterstattung: „Mir schwillt der Kamm, wenn ich lese, die Inder seien durch die ganze Stadt gehetzt worden. Dabei sind es von dem Festzelt bis zu der Pizzeria nur 30 Meter.“ “
    Bei solchen Äußerungen kann man doch nur noch verzweifelt den Kopf schütteln…
    Und ob es nun letztendlich eine rechtsextreme That oder „nur“ eine „normale“ Bierzeltschlägerei war, in jedem Falle sind Menschen verletzt worden, solche Gewaltthaten, vor denen es keinen Schutz zu geben scheint, sind beängstigend. Für mich sind auch Verweise auf Bierzeltfeste und Alkohol keine akzeptable Erklärung oder Rechtfertigung für Schlägereien… und wenn es nicht möglich seyen sollte, Menschen auch dort zu schützen, sollte man vielleicht die „Bierzeltfeste“ an sich mal überdenken. 🙁
    mfg,
    Semis

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