Problemlösung Ungleichheit: Arme, heiratet reich!
Eine Meldung geht zur Zeit durch die Medien, der man entnehmen kann, dass die Deutschen „falsch“ heiraten und deshalb zur Einkommensungleichheit beitragen. Weiter ist zu lesen, dass ein neues Gutachten „den Zusammenhang zwischen Partnerwahl und Wohlstand“ aufzeigt und „einen Lösungsansatz“ liefert. Bei N-TV ist dazu weiter zu lesen:
„Heiraten von wirtschaftlich ähnlich gestellten Personen führen zu einer größeren Ungleichheit der Haushaltseinkommen als Heiraten zwischen wirtschaftlich unterschiedlich gestellten Personen“, schreiben die Wissenschaftler. Das bedeutet: Da Geringverdiener eher Geringverdiener heiraten, bleiben sie arm.
Einkommen ungleich verteilt – Deutsche heiraten „falsch“
Zwei Punkte dazu:
1. Selektion bei der Partnerwahl hauptsächlich den Geringverdienern zuzuschreiben, wie es im obigen Zitat geschieht, könnte man als Zynismus bezeichnen. Geringverdiener bleiben in erster Linie arm, weil sie sehr wenig verdienen. Aus diesem geringen Einkommen erwachsen massive Folgen, angefangen von Lebenschancen über Freizeitgestaltung, Kontaktmöglichkeiten und möglichen Diskriminierungserfahrungen bis hin zu sichtbarem Status, Netzwerken, medizinischer Versorgung, Nahrung und von anderen Personengruppen subjektiv beurteilter Attraktivität. Als Lösung für diesen Zustand mehr oder weniger implizit das Einheiraten in reiche Familien zu empfehlen, ist so offensichtlich grotesk und moralisch suspekt, dass jeder weitere Kommentar, wie etwa der Verweis auf Rational-Choice-Ansätze zur Erklärung von Partnerselektion, verschwendete Zeit ist.
2. Generell ist schichtspezifische Partnerwahl ein sehr wichtiges Thema im Kontext der Reproduktion von Ungleichheit, mit der gleichzeitig existierenden Einkommensungleichheit hat es nur sehr begrenzt zu tun, und zwar allein in Bezug auf die Messung des Haushaltseinkommens. Würden Geringverdiener tendenziell eher Großverdiener heiraten, wäre die Ungleichheit der Haushaltseinkommen kleiner, die Ungleichheit der persönlichen Erwerbseinkommen jedoch selbstverständlich völlig unverändert. Dass hier nicht weiter differenziert wird, sondern das Einheiraten von Geringverdienern in Großverdienerfamilien als Lösung für Ungleichheit generell dargestellt wird, deutet mindestens auf Unschärfe im Umgang mit Begrifflichkeiten hin.
Zum Abbau der Ungleichheiten empfehlen die Experten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, mehr für die Bildung zu tun. „Eine Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit ist … vor allem durch Maßnahmen zu erzielen, die den Bildungserfolg benachteiligter Bevölkerungsgruppen steigern und so Chancengleichheit und soziale Mobilität fördern“, heißt es in dem Gutachten. Empfohlen werden „die frühkindliche Förderung insbesondere bei besonders benachteiligten Gruppen, das längere gemeinsame Lernen, die Durchlässigkeit von Schulsystemen sowie die Verringerung von Abbrecherquoten“.
Einkommen ungleich verteilt – Deutsche heiraten „falsch“
Neben dem Verkuppeln von Gering- und Großverdienern werden nun also auch noch Maßnahmen empfohlen, „die den Bildungserfolg benachteiligter Bevölkerungsgruppen steigern und so Chancengleichheit und soziale Mobilität fördern“. Beides mit dem Ziel einer „Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit“. Aber auch hier gilt, dass die – begrüßenswert wirkende, falls durchgeführte – Maßnahme herzlich wenig mit der berufsbezogenen Einkommensungleichheit in unserer Gesellschaft zu tun hat, denn – so unterstützenswert und wünschenswert Maßnahmen zur Verbesserung von Chancengleichheit, Bildungsniveau u.ä. sind – sie fördert bestenfalls eine gleichartigere Chancenverteilung und erhöhte Mobilität, was mit der eigentlichen Verteilung der Einkommen nichts direkt zu tun hat, da es nur die Fluktuation zwischen verschiedenen Positionen innerhalb der Einkommensverteilung, nicht aber die Verteilung selbst betrifft.
Die Vorschläge zur Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit, die uns gerade präsentiert werden (angeblich von Experten, mir sind bisher nur die Medienmeldungen bekannt), betreffen also ausschließlich Maßnahmen, die nichts direkt mit der Verteilung zu tun haben, sondern a) eine fiktive Gesellschaft betreffen, in der Reiche gerne Arme heiraten, und b) selbst im Idealfall nur auf die Fluktuation innerhalb der Verteilung zielen.
Da haben sich die Medien die Rosinen rausgepickt, über die man gut kontrovers diskutieren kann. Der Bericht findet sich hier: Einkommensungleichheit und soziale Mobilität
In dem Bericht heißt es zum Beispiel auch:
„Für eine Doppelverdienerehe hingegen
ist es für beide Partner von Vorteil, wenn der
jeweils andere ein hohes Einkommen in die
Ehe einbringt. Die moderne Doppelverdienerehe
begünstigt das „Assortative Mating“,
also dass vermehrt wirtschaftlich Gleiche einander
heiraten. Der Wandel familialer Lebensformen
kann mithin Veränderungen
in der Ungleichheit von Haushalten auslösen.
Wenn Ehen zunehmend zwischen Individuen
gleichen Einkommenspotentials geschlossen
werden, so fällt ein „natürlicher“
Faktor der Umverteilung innerhalb der Familie
weg.“
Hi Streicher,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Es stimmt natürlich schon, dass kontroverse Meldungen und Darstellungen Aufmerksamkeit generieren und somit für Medien interessant sind. Im konkreten Fall kommt jedoch ein weiterer Aspekt hinzu und es wirkt m.E. eine andere Form von Selektivität:
An Einkommensungleichheit an sich besteht ein großes öffentliches Interesse und auch die Forschung in dem Bereich ist derzeit sehr groß, mit zunehmender Tendenz, wovon ab und an auch etwas in die Medien kommt. Generell kann Politik sehr viel an Einkommensunterschieden ändern, über das Steuerrecht, Transferzahlungen, Mindest- und Maximaleinkommen o.ä. – das sind zwar einerseits sehr kontroverse Themen, mit denen man Aufmerkmsamkeit generieren kann, man kann sich jedoch andererseits auch sehr schnell mächtige Feinde machen, bzw. sich den Ruf als Neid-Wutbürger oder kommunistischer Vollpfosten erwerben.
Also wird über das Thema gesprochen, aber nicht über den Elefanten, der im Raum steht – eben die eigentliche Verteilung der Einkommen und Aspekte der Umverteilung wie bspw. die Progressivität von Steuern u.ä. – sondern man sucht sich verwandte Aspekte, die interessant klingen und Aufmerksamkeit generieren, aber gleichzeitig nicht in die sehr gefährliche Zone der Umverteilung führen, im konkrekten Fall eben selektive Partnesuche (woran man höchstwahrscheinlich wenig bis gar nichts ändern wollen und können wird, aber schön, dass wir mal drüber geredet haben) und ungleiche Bildungschancen – beides sind wie erwähnt m.E. sehr wichtige Themen für die Weitergabe von Status an die nächste Generation, also die Reproduktion von Ungleichheit, haben aber nichts direkt mit den existierenden individuellen weitgehend beruflich bedingten Einkommensunterschieden zu tun…
Man könnte nun vermuten, dass diese extrem fragwürdige Form der Darstellung (man nennt Einkommensungleichheit zwar im Titel, redet dann aber über selektive Partnerwahl und ungleiche Bildungschancen) so seltsam selektiv und einseitig ist, dass ein wichtiges Thema, eben die Einkommensverteilung und was man daran ändern könnte, offenbar ganz gezielt in seiner praktischen Relevanz und seinen politischen Implikationen verzerrt werden soll – aber womöglich gibt es dafür andere Erklärungen…
Kurzer Nachtrag zum angesprochenen Framing der Ungleichheitsdebatte als Neiddebatte: ein schönes Beispiel liefert heute am 4.5.2017 ein Kommentar vom Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU in der FAZ, der Kritik an sozialen Schieflagen in den Kontext von Neid, Elitenfeindlichkeit und sogar Fake News setzt:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arm-und-reich/soziale-gerechtigkeit-elitenfeindlichkeit-im-wahlkampf-14998959.html
Bemerkenswert daran ist auch, dass ganz explizit ein Bezug zur Flüchtlingsthematik hergestellt wird:
Die ideologische Schlagrichtung ist mehr als angedeutet: Umverteilung zum Wohle der Armen schadet unserer Wirtschaft und vertreibt unsere Leistungseliten, und wer soll ohne die für die ganzen Flüchtlinge zahlen (bzw. sie „in Lohn und Brot bringen“)? Wenn dann nicht unerhebliche Teile der Arbeiterschaft AfD wählen, auch weil auf Basis solcher Aussagen eben angenommen wird, dass die großen Parteien auch aufgrund der Flüchtlingkrise keine arbeiterfreundliche Politik mehr machen können und wollen, wird das sicher als sehr bedauerlich bezeichnet und das Wahlergebnis womöglich mit genereller Xenophobie erklärt werden.
Ein ähnliches Ausweichen vor einer als den eigenen Interessen entgegenarbeitenden etablierten Politik von links, wo keine Optionen existieren oder als effektive Alternative wahrgenommen werden, nach rechts sah man wohl bereits in den USA bei einigen potentiellen Sanders-Wählern und sieht man vermutlich auch aktuell in Frankreich, wo ein als wirtschaftsliberal empfundener Kandidat der Etablierten möglicherweise sogar linke Wähler zu Le Pen treiben wird:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/praesidentschaftswahl-frankreich-emmanuel-macron-marine-le-pen-slowblog
„Wir werden also, bei sonst gleichen Verhältnissen, jenes Land als auf der höheren Stufe volkswirtschaftlicher Entwicklung stehend zu bezeichnen haben, in welchem der Mittelstand am meisten vertreten ist. Wo aber der Mittelstand sich in fortschreitender Auflösung befindet, dort haben wir eine direkt dem Verderben entgegenreifende Entwicklung vor uns, und zwar umso sicherer, je größer der Reichtum ist, welcher diesen Auflösungsprozess des Mittelstandes begleitet.“
Prof. Dr. Gustav Ruhland (1860-1914) gehörte zu den ganz wenigen Nationalökonomen der jüngeren Geschichte, die ehrlich waren und für die das Folgende nicht zutraf:
„Ich sah, dass den meisten die Wissenschaft nur etwas ist, insofern sie davon leben, und dass sie sogar den Irrtum vergöttern, wenn sie davon ihre Existenz haben.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
In seinem Werk „System der politischen Ökonomie“ (1903 bis 1908) konnte Prof. Ruhland (der 1887 einen diesbezüglichen Forschungsauftrag von Reichskanzler Bismarck erhielt, der das Werk nicht mehr lesen konnte) über einen Zeitraum von drei Jahrtausenden und anhand von 22 über die Kulturgeschichte verteilten Volkswirtschaften im Detail nachweisen, dass alle Hochkulturen und Weltreiche in der Geschichte an der systemischen Ungerechtigkeit der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz zugrunde gegangen sind. Die einzige Möglichkeit für einen Neuanfang ist ein Krieg zur umfassenden Sachkapitalzerstörung, damit nach dem Krieg wieder neues Zinsgeld in neue Sachkapitalien investiert werden kann. Unsere heutige „moderne Zivilisation“ macht dabei keine Ausnahme, es besteht allerdings zu früheren Zeiten ein gravierender Unterschied:
USA: 7260, Russland: 7500, Frankreich: 300, China: 260, Großbritannien: 215, Pakistan: 100-120, Indien: 90-110, Israel: 80, Nordkorea: 6-8.
Die Zahlen benennen die aktuelle Anzahl der Atomsprengköpfe. Ohne die atomare Abschreckung wäre es spätestens in den 1980er Jahren zum Dritten Weltkrieg gekommen. Auf der anderen Seite hat darum heute – durch das Ausbleiben dieser „überfälligen Sachkapitalzerstörung“ – die Zinsumverteilung sowohl innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten ein solches Ausmaß erreicht, dass der Atomkrieg nicht mehr erforderlich ist, um unsere ganze „moderne Zivilisation“ – von einem Tag auf den anderen – auszulöschen! Die Heilige Schrift bezeichnet dieses unmittelbar bevorstehende Ereignis als Armageddon. Angst? Die sollten alle haben! Warum hat keiner Angst? Weil die Religion die halbwegs zivilisierte Menschheit so schwachsinnig gemacht hat, dass sie es schon gar nicht mehr verdient, aufgeklärt zu werden:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2017/05/geld-religion-und-politik.html